Arbeitsrecht/Diritto
del lavoro -Betriebsrat und Gewerkschaft
Betriebsrat
und Gewerkschaft
Betriebsverfassungsrecht ist in Italien immer Gewerkschaftsrecht.
Das hat sich auch seit der grundlegenden Neugliederung der
kollektiven Beziehungen durch die Vereinbarung vom 23.07.1993
nicht geändert. Die betriebliche Vertretung ist in Italien,
anders als in Deutschland, territorial und verwaltungstechnisch
fester Bestandteil der sie stützenden Gewerkschaft. Isolierte
Betriebspolitik als solche gibt es also in Italien nicht.
I. Krisenintervention
Eine Darstellung italienischer Verhältnisse muss immer von
der fast ausschließlich durch die jeweiligen Interessensverbände
(Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften)bestimmten Umsetzung
sozialer Standards im Rahmen des italientypischen korporativen
Regelungssystems ausgehen. In diesem bestimmen die Sozialparteien
den jeweils gültigen Sozialstandard des Landes. Für solche
Steuerungsverbünde ist charakteristisch, dass die Krisenintervention
bei den Sozialparteien verbleibt. Es gibt in Italien eine
Reihe von Gesetzen, die den Gewerkschaften die Bewältigung
konjunktureller Krisen auftragen:
- Art. 5 Gesetz Nr. 903/77 ( L. n. 903/77) ermöglicht durch
Tarifverträge auch betrieblicher Art das Nachtarbeitsverbot
für Frauen aufzuheben, wenn es die betrieblichen Gegebenheiten
verlangen;
- Art. 23 L. n. 56/87 ermöglicht durch Tarifverträge die befristete
Einstellung von Arbeitnehmern;
- Art. 1, 2 L. n. 863/84 (ebenso Art. 13 L. n. 223/91; Art
5 L. n. 236/93) zu den Solidarverträgen, die Abweichungen
von der in den nationalen Tarifverträgen (NTV) vereinbarten
betrieblichen Arbeitszeit erlauben, wenn dadurch Kündigungen
verhindert werden (Art. 1) oder Neueinstellungen erfolgen
(Art. 2);
- Art. 5 L. n. 863/84 eröffnet die Möglichkeit, durch Tarifverträge
auch betrieblicher Art (BTV) Teilzeitarbeit einzuführen; Die
erstmalige gesetzliche Regelung des Streikrechts von 1990
(L. n. 146/90);
- Art. 1 ff L. n. 196/97 führen (innerhalb kollektivvertraglicher
Regelungen) erstmals die Zeitarbeit ein.
II. Betriebsrat und Gewerkschaft
In Italien galt lange Zeit das streng „monistische“
System (auch assoziatives System genannt), das bedeutet, dass
Betriebsräte immer Ausgliederungen der jeweils zuständigen
Branchengewerkschaft sind.
In Deutschland existiert dagegen das "dualistische"
System, in dem Betriebsräte und Gewerkschaft unabhängig voneinander
existieren. Das streng monistische System kollidierte Anfang
der 90er Jahre immer mehr mit der wirtschaftlichen Realität.
Nicht so sehr die rapide fortschreitende Globalisierung, wie
die ebenfalls voranschreitende europäische Integration (Maastricht)
setzten dem europaweit einmaligen System zu.
Dieses Spannungsfeld wurde durch eine grundsätzliche Neuordnung
der kollektiven Beziehungen mit dem Protokoll vom 23.7.93
(Protocollo del 23.7.93) und dem anschließenden interkonföderalen
Vertrag vom 20.12.93 für den privaten Sektor (Accordo interconfederale
del 20.12.93 per la costituzione delle rappresentanze sindacali
unitarie) entschieden (Protokoll vom 2.2.1994 für die Metallbranche;
Protokoll 23.7.93 i. V. m. der Vereinbarung vom 20.4.94 für
den öffentlichen Dienst; Vereinbarung vom 12.5.94 für die
gewerkschaftlichen Vertretungen in den Ministerien).
Im Rahmen des zwischen den Arbeitgeberverbänden und den traditionellen
Gewerkschaften geschlossenen „Protokolls“ hat es einschneidende
Änderungen gegeben. Wurden die Betriebsratsmitglieder bis
dahin von den mehrheitlich vertretenden Gewerkschaften bestellt,
werden diese seit 1993 nach der (gewerkschaftlichen) Benennung
in einem Wahlverfahren gewählt. Damit ist ein gemischtes System
eingeführt worden. Zwar werden die Betriebsräte weiterhin
von der Gewerkschaft vorgeschlagen, müssen sich dann aber
zur Wahl stellen.
Die Lage stellt sich seit 1993 folgendermaßen dar: Eine bis
dahin nie da gewesene Institutionalisierung der kollektiven
Arbeitsbeziehungen durch das Protokoll vom 23.7.93, die Einführung
der neuen Betriebsräten (r.s.u.) und des sozialen Dialogs
auf Betriebsebene und die Einführung eines gemischt-dualen
Systems.
III. Verhältnis zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft
Folge des italienischen Systems ist, dass jede betriebliche
Entscheidung mit dem Betriebsrat, und also mit der zuständigen
Gewerkschaft verhandelt werden muss (Beispiel: Massenentlassungen,
Sozialpläne etc.)
IV. Wirtschaftliche Folgen des Protokolls von 1993
Am 27. Januar 1999 ist bei der Cnel (Comitato nazionale per
l'economia e il lavoro - Nationalkomitee für die Wirtschaft
und den Arbeitsmarkt, ein institutionalisiertes Komitee mit
Regierungsbeteiligung und Beteiligung der Sozialparteien)
in Rom eine Untersuchung vorgestellt worden, die vom Arbeitsministerium
erarbeitet worden ist (Genauer vom Osservatorio sul mercato
del lavoro del ministro del lavoro. Die Studie ist wiedergegeben
in: Rassegna sindacale, Nr. 5 v. 23.2.99, S. 14. Im Folgenden
eine Zusammenfassung der Ergebnisse).
Die Untersuchung ist im Rahmen eines Treffens vorgestellt
worden, dessen Arbeitstitel lautete: "Perspektiven des Paktes
vom 22.12.98 im Lichte einer Bilanz der Vereinbarung vom Juli
93" (Le prospettive del Patto del 22.12.98 alla luce di un
bilancio sui risultati dell'accordo del luglio 93". Gemeint
ist der Weihnachtspakt vom 22.12.98, der u.a. die Vorgaben
aus dem Protokoll des 23.7.93 erneuerte).
Nach der Studie ist der fundamentale Beitrag unstreitig, den
die Vereinbarung vom Juli '93 für die Sanierung der italienischen
Wirtschaft leistete. Dies schlug sich sowohl in der Senkung
der Inflationsrate als auch des öffentlichen Defizits nieder.
Die Studie stellt fest, dass die neue Verhandlungsstruktur
weder Inflationsdruck auf die Währung erzeugt hat (die Inflationsrate
ist von 5,6 % für das Jahr 1990 auf 1,8 % für das Jahr 1998
gesunken), noch die Gewinnmargen der Unternehmen gedrückt
hat.
Das Verhältnis zwischen Unternehmensgewinnen und BSP ist von
33,3 % (1991/92) auf 36 % (1995/6) gestiegen. Weniger gut
sieht es hingegen mit der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
aus. Die moderaten Lohnabschlüsse haben positive Bilanzabschlüsse
der Unternehmen unterstützt, ohne dass dadurch Investitionen,
die Produktion oder die Anzahl der Arbeitsplätze erhöht werden
konnte. Gegenüber der Steigerung der Gewinne ist die Quote
der Investitionen im Verhältnis zum BSP von 19, 5 % (1991/92)
auf 17,2 % (1995/96) gesunken. Die Arbeitslosenquote ist von
8,8 % (1991) auf inzwischen 12,5 % (1998) gestiegen.
Die Einnahmen aus unselbständiger Arbeit sind im Verhältnis
zum BSP von 45,4 % (1991/92) auf 41 % (1995/96) gesunken.
In diesen Zahlen drückt sich sowohl die gestiegene Arbeitslosenzahl
wie die Steigerung der Produktivität aus.
V. Produktivitätsprämien
Die Lohnabschlüsse haben sich in der Zeit von 1993 bis 1997
ca. 2 %-Punkte unterhalb der Produktivitätssteigerung gehalten,
womit eine weitere Unterstützung der Arbeitgeberseite durch
die Verhandlungsstruktur gegeben war. Die auf Betriebsebene
möglichen Produktivitätsprämien wurden in vielfältiger Form
ausgezahlt. Am häufigsten herrschte eine Kombination aus Ertragssteigerung,
Produktivitätssteigerung, Qualität und Präsenz im Betrieb
vor. Stand 1999
© Stand 1999 Mario Prudentino
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